Hinweis

Dieser Text wird in abgeänderter und ergänzter Form als Teil einer grösseren Publikation erscheinen und soll hier als Separatausgabe publiziert werden.

Grundprinzpien der Rangdynamik

Die Struktur und die Beziehung in der Arbeitsgruppe differenzieren sich nach Rängen und Rollen. Die Zusammenarbeit wird erleichtert, wenn man die von Raoul Schindler entwickelten Grundprinzipien der Rangdynamik kennt.[1]

Die Alpha-Position vertritt einerseits die Gruppe nach Aussen und steht dem Gegner der Gruppe gegenüber. Ein Alpha argumentiert nicht, ein Alpha agiert und legitimiert sich aus sich selbst. Alpha muss die Gruppe effektiv und effizient vertreten und reduziert so die Bedrohungswahrnehmung der weiteren Gruppenmitglieder. Zudem nimmt Alpha die Führungsfunktion wahr.[2] Nach Schindler hat Alpha nur eine Verpflichtung, „er muss schicksalsanteilig mit der Gruppe verbunden sein, er muss «einer von uns» sein. Bestehen darüber Zweifel, so bemächtigt sich Angst und Unsicherheit der ganzen Gruppe, die sich bisweilen in revolutionärer Aggression [Meuterei] auslebt. Hat er es nötig, seine Position zu festigen, dann appelliert [Alpha] an diese Schicksalsverbundenheit […].»[3] Die Beta-Position wird eingenommen von Personen, die Sachkenntnis im Bereich der Gruppe haben. Beta kann die Gruppe als Fachexperte beraten und sachlich anleiten. Im Gegensatz zu Alpha legitimiert sich Beta nicht aus sich selbst, sondern er muss sich seine Legitimation durch seine Fachexpertise erarbeiten. Seine Bindung an die Gruppe erfolgt somit indirekt durch Alpha. Dadurch kann Beta leicht in den allfälligen Sturz des Alpha hineingerissen werden. Auch kann Beta von Alpha als Sündenbock für einen Misserfolg den Affekten der Gruppe geopfert werden. Im Gegenzug nimmt Beta eine latente Alpha-Position ein. Je mehr Alpha-Qualitäten er zur Bewältigung seiner Aufgaben benötigt resp. wie mehr Raum Beta durch Alpha gewährt wird, desto deutlicher wird der Führungsanspruch von Beta in der Gruppe. Ein echter Beta ist aber von seiner Motivation und von seinen Fähigkeiten als Fachexperte kein echter Alpha, strebt es aber stets an.[4] Die Gamma-Position bildet das Kollektiv der Gruppe, verbunden in einer anonymen Mitgliedschaft. Als Gamma lebt man in der Affektivität des Alphas und nimmt die von dieser vorgeschriebenen Rolle wahr. Man identifiziert sich mit dem Alpha und lebt im gemeinsamen Erfolg. Die Aggression der Gamma-Position wendet sich gegen Omega als Feindbild und gegen die allenfalls aufmüpfige Beta-Position. Alpha ist für die Willensbildung der Gruppe verantwortlich. Gamma selbst hat keinen Führungsanspruch (mehr) und ist in der herrschenden Sozialordnung der Gruppe zufrieden. Alpha muss jedoch auch disee Ängste beruhigen, Bedürfnisse (Information, Motivation) befriedigen und die Frustration begrenzen, will er nicht riskieren, dass sich die Masse der Beta-Position anschliessen. Die Rollenausprägungen innerhalb der Gamma-Position können unterschieden werden in den Mitläufer, als arbeitsamer und loyaler Gefolgsmann, den Helfer, als aktiver Unterstützer von Alpha und zu guter Letzt den Ideologen, der überspitzt formalistisch die Einhaltung von Normen überwacht und indirekt mit Beta als latente Alpha-Position sympathisiert.[5]

Neben der Alpha-Position ist für die Gruppendynamik m. E. die Omega-Position am wichtigsten. Omega repräsentiert in der Gruppe den Feind, da er noch fremd und ohne Anerkennung in der Gruppe ist. Als Schutzmechanismus identifiziert sich Omega immer mehr mit dem Feind der Gruppe und wendet sich so gegen Alpha. Als logische Konsequenz zieht dies die Bestrafung durch die Gammas nach sich.[6] Da sich die Energie der Gamma-Position so aber gegen Omega und indirekt den Feind wendet, wird die Gruppe geeint und die Loyalität Alpha gegenüber gestärkt.

Dank dem Modell der Rangdynamik in der Gruppe können Individuen in der Gruppe den verschiedenen Positionen zugeordnet und besser verstanden werden. Alpha wird befähigt, mit seinen Interventionen die Gamma-Position zur Kooperation zu motivieren und deren Kohäsion zu stärken. Zudem wird es Alpha ermöglicht, inhärente Interessen und latente Ansprüche auf Führung von Beta-Positionen besser kontrollieren und steuern zu können. Alpha reibt sich an Omega und erzeugt so Energie für die Gruppe selbst und für den Kampf gegen den Feind.

So erreicht die Führungskraft auch nach den Grundprinzipien der Rangdynamik eine Stärkung des Zusammenhaltes, eine Verbesserung der Gruppenleistung und den Erhalt der Motivation durch die Wissensgenererierung.

Fussnoten

[1] Vgl. Schindler 1957, interessant ist, dass die Anschauungen von Schindler auf Beobachtungen und Erfahrungen basieren, die einerseits im Rahmen der klinischen Gruppentherapie gewonnen und anderseits bei der stationären psychotherapeutischen Betreuung gemacht wurden. Erkenntnisse, die im täglichen Umgang mit Arbeitsgruppen mit sog. Normalpersonen sicherlich auch hilfreich sein können.

[2] Vgl. Schindler 1957, S. 309–310; Schindler 1999, S. 272; Knecht et al. 2007, S. 119; Hug 2008, S. 325

[3] Schindler 1957, S. 309

[4] Vgl. Schindler 1957, S. 310; Schindler 1999, S. 273; Knecht et al. 2007, S. 120; Hug 2008, S. 327;

[5] Vgl. Schindler 1957, S. 311; Schindler 1999, S. 273; Knecht et al. 2007, S. 120; Hug 2008, S. 325–326

[6 Vgl. Schindler 1957, S. 311; Schindler 1999, S. 273; Knecht et al. 2007, S. 121; Hug 2008, S. 326–327

Literaturverzeichnis

Hug, Brigitta (2008): Wie funktionieren Arbeitsgruppen. In: Thomas M. Steiger und Eric Lippmann (Hg.): Handbuch Angewandte Psychologie für Führungskräfte. Führungskompetenz und Führungswissen. 3., vollst. überarb. und erw. Aufl. 2 Bände. Heidelberg: Springer Medizin (1), S. 315–349.

Knecht, Marita; Pifko, Clarisse; Züger, Rita-Maria (2007): Führung für technische Kaufleute und HWD. Grundlagen mit Beispielen, Repetitionsfragen und Antworten sowie Übungen. 1. Aufl. Zürich: Compendio Bildungsmedien (Personal und Führung).

Schindler, Raoul (1957): Grundprinzipien der Psychodynamik in der Gruppe. In: Psyche – Zeitschrift für Psychoanalyse 11, S. 308–314.

Schindler, Raoul (1999): Rangdynamik in Anwendung. In: Maria Majce-Egger (Hg.): Gruppentherapie und Gruppendynamik – Dynamische Gruppenpsychotherapie. Theoretische Grundlagen, Entwicklungen und Methoden. Wien: Facultas Universitätsverlag (Bibliothek Psychotherapie, 9), S. 271–286.

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